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6.1. Nähe

Wir leben im Zeitalter der Entfernung. In unserem Alltag geht es ständig um Begriffe, wie Entfernung, Globalisierung, Auslagerung, Migration, Zentralisierung, Internationalisierung, Multinationale Staaten, G8, G20, Zusammenschlüsse, organisiertes Verbrechen, Massenkonsum, Spezialisierung, Suburbanisierung, Individualismus, Trennung, Scheidung, Ein-Eltern-Familien, Altersheime, etc.
Entscheidungen, die sich auf die Menschen auswirken, werden an weit entfernten Stellen getroffen und die Bürger sind immer weniger in der Lage, darauf Einfluss auszuüben. Die Menschen fühlen sich immer unsicherer und unbekannten Ereignissen ausgeliefert.
Ein Grossteil der Themen, die die politische Debatte polarisieren, hängt eng mit dem Phänomen der Entfernung zusammen. Bisher war der Kampf gegen dieses Phänomen jedoch wenig erfolgreich, denn es ist schwierig, etwas zu bekämpfen, das sich entfernt. Um Erfolg zu haben, braucht man einen Grund, ein Ziel, auf das hingearbeitet wird, es genügt nicht, sich einfach nur entgegen zu stellen. Um zu bremsen, um die Probleme der Entfernung zu bekämpfen, muss man Nähe anstreben.
Die fast schon in Vergessenheit geratene Nähe ist eine Ressource, die wiederentdeckt und aufgewertet werden muss.
Einige Werte der Nähe seien an dieser Stelle aufgelistet.

  • Die direkte Kenntnis, die Nähe zu den Problemen. Die besten Lösungen werden nicht in der Ferne ausgedacht, theoretisch oder von oben aufgestülpt, sondern auf der Grundlage der reellen Situation getroffen.
  • Achtung vor den Gemeinschaften und der Kultur. Die Gemeinschaften haben ein Recht darauf, sich im Hinblick auf ihre Kultur, Bauten, Gesellschaftsstrukturen und Religion ihren eigenen territorialen Kontext zu schaffen.  Die Rechte des Individuums (Handels- und Religionsfreiheit) dürfen keine Passepartouts werden, um allen dieselben Wertvorstellungen ohne Bezugspunkte aufzuerlegen.
  • Verantwortung, Achtung und Kontrolle. Nähe heisst auch Achtung und Kontrolle des Territoriums. Ein Ort, der seinen Bewohnern gehört, wird leichter geachtet. Nähe bedeutet, die Menschen zu kennen, zu wissen, wer was tut, Achtung und Kontrolle zu haben. Ein anonymes Territorium, zu dem die Bewohner keine Beziehung haben, ist der ideale Nährboden für Kriminalität.
  • Nähe bedeutet Integration und gegenseitige Hilfe. Die Zersplitterung der Familien und der Gesellschaft lässt die Individuen schutzlos zurück. Bereits nach einem normalen Ereignis, wie einer Krankheit, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes sind die Menschen nicht mehr in der Lage, für sich selbst zu sorgen und gezwungen, sich an den Sozialdienst zu wenden, wenn nicht gar ganz auf Kosten des Staats zu leben. Jedoch ist eine weitere Ausweitung des sozialen Netzes undenkbar. Um die Lebensqualität zu verbessern müssen Werte wie Nähe und Nachbarschaftshilfe wieder neu entdeckt werden. Es besteht die Notwendigkeit, integrierte Gemeinschaften zu haben, mit Personen, die sich kennen, die Organisationen vor Ort schaffen, um Menschen in Schwierigkeiten wirtschaftliche, soziale und emotionale Unterstützung zu geben. Nähe heisst also, die familiären Werte sowohl als effizientes wirtschaftliches Modell, als auch als erzieherisches Modell wieder zu entdecken. 
  • Nähe zur Natur. Die Verwirrung zu überwinden, die den Menschen dazu gebracht hat, zu glauben, er sei ein separates, von der Natur gelöstes Lebewesen. Nähe zur Natur heisst, über die Ökologie hinaus zu gehen in Richtung Ökosophie, sich als Teil der Natur zu fühlen, um jenen Teil des Menschen wieder zu entdecken, der nach Gleichgewicht und Wohlbefinden strebt.
  • Nähe zu den Dingen. Die Entfernung von Werten und Dingen hat uns zu einer Konsum - und Wegwerfgesellschaft geführt. Dinge wegwerfen, weil die Farbe nicht mehr modern ist, bedeutet, zu verarmen. Nicht umsonst leben wir in einer Gesellschaft, in der alle verschuldet sind, um flüchtige Bedürfnisse zu befriedigen. Nähe zu den Dingen bedeutet, den Wert der Dinge wieder neu zu entdecken. Dinge, die dauern, die gut verarbeitet sind, die repariert und vererbt werden können, die man nicht wegwirft, weil sie aus der Mode sind. Die Wiederentdeckung der handwerklichen und künstlerischen Fertigung, der Werkstätten und Läden, in denen Dinge repariert werden.
  • Nähe zum politischen System. Das politische System basiert immer noch auf der vollumfänglichen Delegierung an Vertreter über das Parteiensystem. Dieses System war erforderlich in einer Welt, die durch Entfernung bestimmt war. Heute ist es dank informationstechnischenr Mittel möglich, sich Systeme vorzustellen, in denen die Menschen konstant an Entscheidungsprozessen teilnehmen, diese kontrollieren und die Entscheidungen und Übermacht der Parteien und der diese kontrollierenden Lobbies nicht mehr nur einfach hinzunehmen.
  • Nähe dank der neuen informationstechnischen Möglichkeiten. Die neuen Kommunikationstechnologien haben die Entfernungen reduziert. An jeder Stelle der Welt können wir an Informationen kommen, kommunizieren, teilnehmen, arbeiten. Dank Internet und mit den neuen Technologien ist die Umstrukturierung des Staats und der Gesellschaft im Sinne von mehr Nähe möglich. 
  • Nähe dank des Gesamtüberblicks. Dank Wissenschaft und Forschung kennen wir heute subatomare Partikel und die Grenzen des Universums. Unser bisheriges Weltbild wurde auf den Kopf gestellt. Nun müssen wir uns eine Weltanschauung verschaffen, in der alle Menschen sich körperlich, geistig und spirituell wieder erkennen.